Viele Einzelfälle ergeben ein System

In ganz Deutschland arbeiten Saisonarbeitskräfte in landwirtschaftlichen Betrieben. Besonders hoch ist der Anteil von Saisonarbeiter*innen in Rheinland-Pfalz, Hamburg und Brandenburg. Die Saisonarbeiter*innen Piotr, Darian P. und Adina S. berichten über katastrophale Arbeitsbedingungen. Dies sind nur einige Beispiele von Erfahrungen, die viele Menschen auf dem deutschen Acker machen.

Ersteller: Patrick Pleul Credit: picture alliance/dpa

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Darian P.

"Es muss klar sein, wie viel Lohn für wie viele Stunden gezahlt wird. Der Mensch muss wissen wofür er arbeitet, oder? Aber, ich komme nicht noch mal nach Deutschland. Die Bedingungen müssten so ungefähr dem Durchschnitt entsprechen. Aber für mich ist das jetzt egal. Ich werde in Zukunft nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten."
Jahresbericht Initiative Faire Landarbeit 2020

Adina

"Die [Ausweise] hat man uns abgenommen. Man hat uns einen Vertrag vorgelegt, aber der war nicht auf Rumänisch übersetzt. Den habe ich unterschrieben, aber ich wusste gar nicht was ich unterschrieben habe, denn das war auf Deutsch."
Jahresbericht Initiative Faire Landarbeit 2020

Piotr

"Eines Tages im März sah ich blass aus. Mein Vorarbeiter meinte, dass ich sicherlich Covid-19 habe, und ich musste in mein Zimmer gehen. Ich wollte arbeiten und mich testen lassen, ob ich wirklich an Covid-19 erkrankt war. Nun wurde ich mehr als eine Woche gezwungen im Zimmer zu bleiben, ohne einen Arzt oder das Gesundheitsamt kontaktieren zu dürfen. Diese Zeit wurde nicht abgerechnet. Als ich protestiert habe und auf eigene Faust einen Arzt suchen wollte, hat man mich sofort rausgeschmissen."
Jahresbericht Initiative Faire Landarbeit 2021

Aktuelle Aussagen von Saisonbeschäftigten

Die Aussage eines Saisonbeschäftigten aus Nordrhein-Westfalen steht stellvertretend für Sätze, die wir immer wieder hörten: „Ich kann nicht mit euch sprechen. Der Chef hat mich gewarnt, dass ich Probleme bekomme, wenn ich mit euch spreche.“ Die Beschäftigten erzählten, dass sie bei Fieber und stärkeren Schmerzen jeweils Paracetamol erhalten haben und ihnen geraten wurde, ein paar Tage abzuwarten. „Abzuwarten“ bedeutet, Urlaub ohne Lohnfortzahlung zu nehmen, gleichzeitig jedoch weiterhin die Miete für die Unterkunft zu bezahlen.
Jahresbericht Initiative Faire Landarbeit 2022

Ersteller: picture alliance / Snowfield Photography | Dorit Kerlekin

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Aktuelle Aussagen von Betriebsverantwortlichen

Unsere Erfahrung, dass der gesetzliche Mindestlohn in vielen Fällen unterschritten wird, steht in einem engen Zusammenhang mit der Bezahlung nach Erntemenge. Dies wird durch die aktuelle Studie der Mindestlohnkommission zur Saisonarbeit bestätigt. Sie zitiert einen Betriebsleiter, der mit beeindruckender Offenheit diese Praxis schildert:

„Letztendlich [entlohnen wir] über die geerntete Menge.“
„Gibt es das on top zum Mindestlohn?“
„Manche liegen drüber, es gibt aber auch manche, die drunter liegen“
„Was machen Sie da?“
„Kriegen das ausgezahlt.“
„Und die, die unter dem erwarteten Niveau liegen?“
„Theoretisch auch unter dem Mindestlohn, ja. Die kriegen dann weniger als den Mindestlohn sozusagen, weil sie halt nicht so die Arbeit erbracht haben. Die hätten ja [können]. Das ist immer ein Problem an der Sache. Aber ja.“
Huschick u.a. 2022: 128, in: Jahresbericht Initiative Faire Landarbeit 2022
In der Studie kommt ein weiterer Betriebsleiter zu Wort, der offen darüber spricht, dass er als Minimallohn einen geringen Sockelbetrag ansetzt:

„Im Arbeitsvertrag steht drin, dass wir einen Leistungslohn haben. Wir sichern 67 Cent [pro Kilogramm Spargel im Akkordlohn] zu, wir sichern auch 700 Euro [Lohn als Sockelbetrag im Monat] zu. Das ist rechnerisch, mit 8 Arbeitsstunden [pro Arbeitstag].“

In der Regel arbeiten Saisonbeschäftigte sechs Tage die Woche. Diesen 700 Euro würden in dem Fall 3,50 Euro pro Stunde entsprechen. Auch bei fünf Arbeitstagen die Woche läge der faktisch gezahlt Minimallohn etwas über 4 Euro.
Huschick u.a. 2022: 128, in: Jahresbericht Initiative Faire Landarbeit 2022